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Dresden: Das Wunder an der Elbe

Kaum eine größere Stadt in der Bundesrepublik bietet so viel Schönheit und Geschichte wie Dresden. Vor Corona kamen jedes Jahr gut zwei Millionen Touristen hierher, und sie wussten warum. Schon allein die in altem Glanz erstrahlende Frauenkirche rechtfertigt einen Besuch.

Die Erinnerungen an Dresden enthalten eine traurige Geschichte: Antje Garden, eine Moderatorin beim MDR-Hörfunk, die zuvor Ansagerin beim DDR-Fernsehen gewesen war, kam am 20. Mai 1993 zu einer großen Feier im Dresdner Zwinger. Im Verlauf der Veranstaltung winkte sie dem Autor dieser Zeilen und dessen früherer Freundin, einer aus Hessen stammenden MDR-Kollegin, die für eine Sendereihe über Sexualität verantwortlich war, fröhlich zu.

Letzte Stunden im Zwinger

Bei dem Fest, das sie mit einem Kollegen besucht hatte, wirkte die 42-Jährige Antje Garden ausgelassen und zufrieden. Absolut nichts deutete daraufhin, dass sie vier Stunden später tot sein würde. Ihr Freund nahm sie um 2:00 Uhr morgens angetrunken in seinem Auto mit. Die Straße war nass, er verlor die Kontrolle und krachte gegen einen Laternenpfahl. Sie war nicht angeschnallt.

Wenige Stunden später waren ganz Dresden und ein nicht unerheblicher Teil des neuen Bundeslandes Sachsen geschockt, als die traurige Nachricht über den MDR verbreitet wurde. Antje Garden, eine Prominente Wahl-Sächsin, die ursprünglich aus Berlin stammte, war plötzlich weg. Sie würde ihre Hörer nie mehr in ihrer Manier unterhalten und nie wieder etwas erleben, denn sie war sprichwörtlich aus dem Leben gerissen worden.

Die Frauenkirche wurde zweimal erbaut. Foto: Imanuel Marcus

Im Jahr dieses unnötigen, traurigen Ereignisses war die Dresdner Frauenkirche ein Schutthaufen. Antje Garden erlebte den sensationellen Wiederaufbau nicht. Nur sieben Tage nach ihrem Tod, am 250. Jahrestag der ersten Fertigstellung des Gotteshauses im Jahr 1743, wurde die Baugenehmigung feierlich an die Bauherren übergeben.

Von der Gedenkstätte zur Baustelle

Die Frauenkirche, beziehungsweise der Haufen, der ihre Teile enthielt, war in diesem Moment keine Gedenkstätte mehr, sondern eine Baustelle, was in den Jahren nach der Wiedervereinigung nach und nach für die ganze Stadt Dresden galt.

Auch von innen ist die Frauenkirche eine Augenweide. Foto: Imanuel Marcus

Hier starben um den 13. Februar 1945 mehr als 25.000 Menschen bei heftigen Bombardements der Alliierten. Diese fanden nur Wochen vor der bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands statt. Bis heute wird darüber diskutiert, ob diese Angriffe, vorwiegend gegen Zivilisten, für einen Sieg über den Faschismus wirklich noch erforderlich waren.

Dresden war 1945 fast komplett zerstört. Foto: Bundesarchiv

Damals, im Bombenhagel, wurde die Frauenkirche so schwer beschädigt, dass ihre Säulen zwei Tage später nachgaben und das enorme Gotteshaus in sich zusammenfiel. Gut 20 Jahre später wurde die Ruine vom kommunistischen Regime der Deutschen Demokratischen Republik zur Gedenkstätte erklärt, da Ost-Berlin einen Wiederaufbau ablehnte, auch aufgrund des Aufwandes.

Wunderwerk von 600.000 Tonnen

Was aber im Jahr 2005, 15 Jahre nach dem Ende des Kommunismus, 60 Jahre nach dem Ende des Faschismus und 262 Jahre nach der ersten Fertigstellung der Frauenkirche auf dem Neumarkt feierlich eingeweiht wurde, war an Schönheit kaum zu überbieten. Die Frauenkirche war wieder da und symbolisierte auch den Beginn der neuen Zeit in der freien, demokratischen Bundesrepublik Deutschland.

Dresden im August 2019: Schöner geht es nicht. Foto: Imanuel Marcus

Den vielen Spendern, dem Bund, zahlreichen Initiatoren, Ingenieuren, Architekten und noch mehr Bauarbeitern ist dieses Wunder zu verdanken. Die Arbeiter bauten ein 600,000 Tonnen schweres Wunderwerk. Stein für Stein erschufen sie es neu. Gut 85 Kilometer an Kabeln zu verlegen oder 800 Kubikmeter Holz und 600 Gramm Blattgold zu verarbeiten, war im Vergleich zur Gesamtleistung eine Leichtigkeit.

An jeder Ecke fand unser Reporter eine neue Attraktion. Foto: Imanuel Marcus

Selbst wenn die Frauenkirche das einzige sensationelle Bauwerk in Dresden gewesen wäre, hätte sich ein Besuch stets gelohnt. Wie Jeder weiß, gibt es aber in kaum einer deutschen Stadt mehr umwerfende Touristenattraktionen, über die man sich an einem Ort einen hervorragenden Überblick verschaffen kann, nämlich auf dem Turm der Frauenkirche, ein mit 8 Euro zu Buche schlagendes Muss.

Luther hat besten Platz

Alle sind mit der Frauenkirche zufrieden, darunter mit Sicherheit Gott selbst, der diese Ehrung begrüßen dürfte. Von den fast 2,25 Millionen Touristen, die allein im Jahr 2018 nach Dresden kamen, und von denen wohl jeder einzelne die Frauenkirche bewunderte, ganz zu schweigen. Martin Luther, der in Form eines Denkmales den besten Platz in der Stadt hat, nämlich genau vor einem Bauwerk namens Frauenkirche, hat ebenso wenig einen Grund für Beschwerden.

Der Zwinger allein bietet zahllose Fotomotive. Foto: Imanuel Marcus

Die Betreiber der Dresdner Hotels mit insgesamt 23.000 Betten zählten im Jahr 2019 erstmals 4,7 Millionen Übernachtungen und die Eigner der unzähligen Restaurants in der Dresdner Altstadt, die täglich Touristen mit einer enormen Anzahl an Mahlzeiten verköstigen, profitieren gerade auch von der benachbarten Frauenkirche. Die Fressmeile ist nur wenige Meter entfernt.

Vom Riesenrad aus ist der Zwinger nicht weniger attraktiv. Foto: Imanuel Marcus

Apropos Restaurants: An einem überaus heißen Sommertag wird klar, was in der Dresdner Altstadt beanstandet werden kann: Es gibt unter 2,70 Euro keine Getränke. Die Suche nach einem Kiosk, der bei 36 Grad Celsius vielleicht eine gekühlte Tüte ‘Capri-Sonne Orange’ für 80 Cent anbieten könnte, scheitert. Ein Restaurantbesuch mit dem Verzehr mehrerer teurer Gläser Apfelschorle ist erst Stunden später vorgesehen.

Story vom Pferd

Am Ende fällt die Wahl auf eine Plastikflasche mit 0,5 Liter Apfelschorle der Billigmarke ‘Ja’, die an einer Art Eisdiele für 2,70 Euro angeboten wird, mitsamt 25 Cent Pfand. Im Supermarkt kostet das gleiche Getränk einen Bruchteil. Nun ja, in Dresden müssen Einnahmen generiert werden. Die Miete für Geschäfte und Restaurants ist nicht umsonst.

Das Postkartenmotiv gibt es für 8 Euro, von der Spitze des Turmes der Frauenkirche. Foto: Imanuel Marcus

Dennoch: In Dresden finden Touristen, was sie wollen. Die Frage “Warum bin ich nur hergekommen?” stellt sich hier schlicht nicht, da alle paar Meter eine neue Antwort auftaucht. “Schönheit und Geschichte” lautet die Zusammenfassung. Nicht umsonst starren jeden Tag durchschnittlich 7000 Touristen ungläubig auf diese Altstadt. Dresden ist fast zu schön um echt zu sein.

Die Semperoper gehört ebenfalls zu den meistfotografierten Objekten in Dresden. Foto: Imanuel Marcus

Touristenführer, auf Neu-Deutsch “Guide”, ist wohl der beliebteste Beruf hier. An jeder Ecke ist mindestens eine(r) von ihnen dabei, seinen oder ihren Schäfchen die Story vom Pferd zu erzählen, beziehungsweise der des Fürstenzuges, an dem viele dieser Tiere teilnahmen, wie auf dem 1907 erstellten, gleichnamigen Bild auf tausenden Meißener Porzellantafeln unschwer zu erkennen ist.

Monologe der Führer(innen)

Offenbar gibt es in Dresden fast mehr Führerinnen und Führer als Touristen. Zumindest fallen sie aufgrund ihrer Monologe mehr auf. An diesem Tag, vor der Coronakrise, erklären zwei astreines Oxford-Englisch sprechende Damen in ihren Fünfzigern zwei aus Briten und Amerikanern bestehenden Gruppen die Geschichte der Frauenkirche vorwärts und rückwärts. Ihre Begabung ist schwer zu kaschieren.

Touristengruppen kommen fast minütlich am Fürstenzug-Bild vorbei. Foto: Imanuel Marcus

Selbiges gilt für eine Kollegin, die Besuchern aus dem Reich der aufgehenden Sonne unter der selben den Fürstenzug erklärt. Ihre Zuhörer halten ihre in ihre iPhones eingebauten Kameralinsen in Richtung der Attraktion und haben vermutlich bereits Krämpfe in den Fingern sowie in Richtung leer tendierende Batterien.

Luther und die Frauenkirche auf ein und dem selben Foto. Foto: Imanuel Marcus

Auch deutsche Touristen werden durch die Dresdner Altstadt geführt. Fast wie Kindergartengruppen beim Laternenumzug laufen sie ihren “Guides” hinterher. Letztere klingen auch auf Deutsch höchst intellektuell, als hätten sie sich direkt vom Philosophiestudium in diese Arbeit gestürzt.

Versaute Selfies

Noch im vergangenen Winter war das Zentrum Dresdens ein ziemliches Chaos, was mit unzähligen Bauarbeiten in der Altstadt zu tun hatte. Während einige davon inzwischen verschwunden sind, zieht sich die 27 Millionen Euro teure, denkmalgerechte Sanierung der Augustusbrücke länger hin als ursprünglich geplant, nämlich bis 2021.

Inzwischen erstrahlt aber auch die Semperoper wieder in vollem Glanz, nachdem ein Teil des schönen Gebäudes aufgrund von Fassadenarbeiten noch im November durch einen Bauzaun verdeckt gewesen war. Wie viele Semperoper-Fotos oder -Selfies durch den Bauzaun versaut wurden, ist nicht übermittelt.

Es gäbe nichts schöneres als den Theaterplatz in Dresden, mit der 1841 eröffneten Oper und dem König Johann-Denkmal, wäre da nicht der Zwinger, gleich nebenan, in dem derzeit ebenfalls gebaut wird, und wäre die gesamte Dresdner Altstadt nicht in absolut jeder Hinsicht ein echtes Wunder.

Hungrig wie Wölfe

Nach tausenden Schritten durch hunderte Meter Altstadt ist der Moment für ein stärkendes Essen doch früher oder später (ehrlich gesagt eher früher als später) doch gekommen. Die Auswahl kann problemlos als üppig bezeichnet werden. Am Ende fällt die Qual der Wahl auf eine halbe Ente, ein Schweinesteak und Apfelschorle.

Der blonden Kellnerin ist anzusehen, dass sie diesen Sommer bei unglaublichen Temperaturen tausende Male zwischen dem Küchentresen und den Tischen hin und her gelaufen sein muss. Dennoch lächelt sie souverän und schafft es trotz der Anstrengungen, ein überdurchschnittliches Maß an Freundlichkeit an den Tag zu legen.

Für seine 550,000 Einwohner, von denen viele in Plattenbauten am Stadtrand und generell außerhalb des Zentrums wohnen, braucht Dresden nicht so viele feine Restaurants. Stadtbesichtigungen machen die Besucher jedoch hungrig wie Wölfe.

Über den Trampelpfad hinaus

Nach der Besichtigung der obligatorischen Stellen im Zentrum lohnt es sich, den Touristen-Trampelpfad auch mal zu verlassen. Die eher hässliche Prager Straße, die Einkaufsmeile, die sich seit dem Kommunismus nur wenig verändert hat, ist weniger empfehlenswert, das Blaue Wunder, die 1893 fertiggestellte Eisenbrücke, beziehungsweise ein ausgedehnter Spaziergang am Elbufer, hingegen eher.

Für abenteuerlustige Touristen mit Zeit ist Dresden, abgesehen von seiner kaum zu toppenden Schönheit und seinem Status als Touristenmagnet, ein hervorragender Startpunkt für eine Reise ins nur 147 Kilometer entfernte Prag. Wer gewillt ist sogar 180 Kilometer zu fahren, kann eine etwas größere, weiter nördlich gelegene Stadt besuchen. Wie heißt diese noch gleich? Ach ja, Berlin.

Unser englischer Dresden-Artikel ist hier zu finden.

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