Gerald M. Steinberg: “Warum hat Deutschland so lange gebraucht?”

Von Gastautor Gerald M. Steinberg. Er ist Professor für Politikwissenschaft an der Bar Ilan Universität und Präsident des Instituts für NGO-Forschung in Jerusalem.

Am 17. Mai 2019 hat der Deutsche Bundestag eine Resolution verabschiedet, in der die BDS-Bewegung als antisemitisch eingestuft und verurteilt wird. Der Beschluss führte zu einer großangelegten Medienkampagne, mit der dieser wichtige Schritt verurteilt und delegitimiert werden sollte. In einem von gleich sechs Autoren verfassten Artikel schrieb der “Spiegel” die Resolution einer von der israelischen Regierung gesteuerten Verschwörungskampagne zu.

Dem Artikel zufolge war es Ziel der schändlichen Verschwörer, jegliche Kritik an der israelischen Regierung und ihrer Politik zu verbieten. Die bekannten Versuche, BDS-Aussagen mit legitimer Kritik gleichzusetzen, wurden wiederholt.

Andere deutsche und europäische Medien sowie linke Medienplattformen in Israel, wie beispielsweise “Ha’aretz”, stürzten sich sofort ins Wort-Gefecht. Sie schreckten auch vor schweren, persönlichen Beschuldigungen gegen bestimmte Individuen nicht zurück, um in diesem heftigen ideologischen Kampf politische Punkte zu sammeln.

Mit Unterstützung der palästinensischen BDS-Bewegung selbst appellierte eine Gruppe von sieben politischen NGOs in Israel (von denen viele nicht zufälligerweise von der Bundesregierung und anderen europäischen Regierungen finanziert werden, angeblich um die Menschenrechte zu fördern) in ähnlicher Weise öffentlich an den Bundestag, die Resolution zurückzunehmen.

Warum hat Deutschland so lange gebraucht?

Der Text der deutschen Resolution ist jedoch kaum überraschend oder revolutionär. Das kanadische Parlament billigte eine ähnliche Resolution, die in Ottawa vom gesamten politischen Spektrum unterstützt wurde, nachdem bereits mehrere Vorgängerregierungen hinsichtlich BDS zu ähnlichen Ergebnissen gekommen waren, darunter auch der U.S.-amerikanische Kongress, das Europäische Parlament und andere demokratische Institutionen.

In der Tat könnte man sich eher fragen, warum Deutschland auch angesichts seiner finsteren Geschichte und der weiten Verbreitung der anti-israelischen Form des Antisemitismus so lange gebraucht hat, eine solche Resolution zu verabschieden.

In der Resolution des Bundestages, wie auch in anderen Zusammenhängen, wird die Verknüpfung zwischen der BDS-Bewegung und dem Antisemitismus ausdrücklich durch die 2016 durch die Internationale Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) formulierte Arbeitsdefinition von Antisemitismus belegt. Als eines von 35 Mitgliedsländern der IHRA hat Deutschland die Pflicht, auftretenden Antisemitismus als solchen zu benennen. In der Resolution wurde die Antisemitismus-Definition der IHRA korrekt zitiert.

Die IHRA-Arbeitsdefinition beginnt mit dieser Feststellung: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann.“ Nach dem Holocaust und der Gründung des Staates Israel richtete sich ein großer Teil dieses Hasses gegen die souveräne Gleichstellung der Juden. In dieser Hinsicht verweist die IHRA-Definition auf Bemühungen, die darauf abzielen, „dem jüdischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung zu verweigern, indem beispielsweise behauptet wird, dass die Existenz eines Staates Israel ein rassistisches Unterfangen sei.“

Unverhohlene Diskriminierung

Eine solche unverhohlene Diskriminierung ist Teil des üblichen Repertoires der BDS-Bewegung, die ihre Ursprünge in der berüchtigten UN-Resolution von 1975 hat. In Letzterer wurde der Zionismus als Rassismus eingestuft, bis sie 1991 aufgehoben wurde. Als die Boykottbewegung, die sich zur heute bekannten BDS-Bewegung entwickelte, auf dem NGO-Forum der Konferenz von Durban 2001 ins Leben gerufen wurde, wurde in der Abschlusserklärung die internationale Gemeinschaft aufgefordert, „eine Politik der vollständigen und totalen Isolation Israels als Apartheidstaat wie im Fall von Südafrika“ einzuleiten.

Teilnehmer erklärten damals und seither immer wieder, die Existenz eines Staates Israel sei ein “rassistisches Unterfangen“. In ähnlicher Weise erklärte die erste palästinensische BDS-Konferenz entschlossen, dass die Kampagne „nicht nur die israelische Wirtschaft zum Ziel hat, sondern die israelische Legitimität als Kolonial- und Apartheidstaat als Teil der internationalen Gemeinschaft infrage stellt“. Diese Kampagne ist eindeutig weit davon entfernt, reguläre demokratische Kritik an der israelischen Politik zu üben, was die Ideologen, welche die Verbindung zwischen BDS und Antisemitismus zu leugnen versuchen, allerdings immer wieder lauthals bestreiten.

Andere Aspekte der BDS-Bewegung veranschaulichen das IHRA-Kapitel zum Thema Doppelmoral. Von Israel wird ein Verhalten gefordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder verlangt wird. Insbesondere gilt dies für Rechtfertigungen der BDS, die sich auf wiederholte Vorwürfe über angebliche israelische „Kriegsverbrechen“ und Verletzungen des Völkerrechts stützen, wobei in anderen Kontexten gewalttätiger und asymmetrischer ethnonationaler oder religiöser Konflikte keine oder nur wenige parallele Behauptungen erhoben werden. Die Tatsache, dass es keine anderen BDS-Kampagnen gibt und dass die Befürworter statt fairer Kritik versuchen, Millionen von Israelis zu diffamieren, unterstreicht die Doppelmoral.

BDS-Kampagnen werden schriller

Angesichts der Bedeutung der auf der IHRA-Definition basierenden Ablehnung der BDS-Bewegung als Antisemitismus und der wachsenden internationalen Einigkeit in diesem Zusammenhang, ist es kaum verwunderlich, dass sich Organisationen und Einzelpersonen, die seit über 17 Jahren diese Form des Hasses befürworten, vereinen, um die deutsche Entscheidung zu kippen oder zu neutralisieren. Im britischen Parlament ertönten die gleichen hysterischen Behauptungen in einer gescheiterten Kampagne, die im Jahr 2016 eine Resolution zur Annahme der IHRA-Arbeitsdefinition blockieren wollte.

Jedes Jahr werden viele Millionen Dollar zur Unterstützung diverser BDS-Kampagnen und der sie leitenden Personen bereitgestellt. Da diese Aktivitäten zunehmend als antisemitisch entlarvt werden, werden die ihnen zufließenden Gelder, insbesondere von Regierungen wie Deutschland, bald ausbleiben. Bemühungen, diese Investitionen zu erhalten, sind definitiv zu erwarten. Da die BDS-Bewegung zunehmend als antisemitisch eingestuft wird, werden ihre Kampagnen dementsprechend schriller.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass diese BDS-Bemühungen Erfolg haben werden. Vielmehr ist zu erwarten, dass der deutschen Resolution und der Ausweitung des Aktionsradius durch die IHRA weitere Schritte dieser Art folgen werden. Im krassen Gegensatz zu dem auf Israel ausgerichteten Antisemitismus des britischen Labour Party-Führers Jeremy Corbyn, der kürzlich selbst in einer BBC-Dokumentation entlarvt wurde, twitterte der britische Außenminister Jeremy Hunt am 18. Mai 2019: „Israel, den einzigen jüdischen Staat, zu boykottieren, ist antisemitisch. Hut ab vor Deutschland, das ein Zeichen gesetzt hat“.

Die englische Version dieses Kommentars ist hier zu finden.